Kopfschütteln …
Die gestern deutlich gewordene Situation an der Bundesspitze der CDU lässt einen kopfschüttelnd zurück. Mein Eindruck: Dilettantismus pur, Kopflosigkeit, strategisches Unvermögen und daneben noch die Unfähigkeit, mit Partnern, aber auch Kontrahenten zielorientiert zu kommunizieren. Man fasst es nicht!
Wo sind die Köpfe, die vergleichbar den Persönlichkeiten der Vergangenheit agieren können?
Beispiel Gespräch mit der Linksfraktion: Niemand wird Konrad Adenauer vorwerfen können, ein „Kommunistenfreund“ gewesen zu sein. Dennoch hat er ausweislich seiner Memoiren in der ersten Legislaturperiode des Bundestages sich auch mit dem Chef der KPD, Renner, ausgetauscht und beider Verhältnis war von persönlicher Achtung und Respekt geprägt. Und heute? Sowohl Merz als auch Spahn verweigern lt. ihrer eigenen Bekundungen selbst ein informelles Gespräch mit den Linken - man erinnere sich: als die Linke bei der Kanzlerwahl zur Unterstützung benötigt wurde, waren es nicht Merz oder Spahn, die Kontakt aufnehmen konnten, sondern dem Vernehmen nach Dobrindt, der eine Handynummer hatte und dann aushalf.
Beispiel Überblick in der Fraktionsarbeit: anscheinend war Spahn völlig aus der Spur geworfen, als er erkennen musste, dass die eher routinemäßige Abstimmung über den einstimmigen Vorschlag des Richterwahlausschusses danebengehen würde. Ist er nicht in der Lage, Tendenzen und Meinungsbilder in der von ihm geführten Fraktion zu erkennen und rechtzeitig aufzugreifen? Einem Rainer Barzel wäre das nicht passiert - und das einzige Mal, als ihn diese Situation dann doch ereilte, war der Grund eine Geheimdienstaktion der Stasi.
Beispiel Fehlleistungen der Bundestagspräsidentin: Julia Klöckner hat in ihrer kurzen Amtszeit bereits mehrfach spektakuläre Entscheidungen getroffen (z.B. Regenbogenflagge), die an ihrer Fähigkeit zweifeln lassen, zwischen „wichtig“ und „unwichtig“ zu unterscheiden. Ihre Souveränität als Bundestagspräsidentin lässt sehr viel zu wünschen übrig und ist auf die Dauer geeignet, nicht nur sie selbst als Person, sondern auch ihr hohes Amt zu beschädigen. Man wünscht sich eine Persönlichkeit vom Schlage einer Rita Süßmuth zurück!
Beispiel konzeptionelle Kompetenz eines Generalsekretärs: der ansonsten gerne und laut sprechende Carsten Linnemann scheint in dieser Woche komplett in der Versenkung verschwunden zu sein. Dabei ist es doch die vornehmste Aufgabe eines Generalsekretärs, als „Frühwarnsystem“ seines Vorsitzenden jederzeit im Detail strategisch relevante Folgen des Handelns seines Vorsitzenden zu analysieren und ihm Hinweise und Ratschläge für sein politisches Agieren zu geben. Dass dabei nicht immer nur „Friede, Freude, Eierkuchen“ herrschen kann, liegt in der Natur der Sache. Daher ist es umso wichtiger, dass Vorsitzender und Generalsekretär eng kommunizieren und sachorientiert diskutieren. Ob dies zwischen Merz und Linnemann so geschieht ist zumindest nicht erkennbar. Ich behaupte jedenfalls: Generalsekretäre vom Schlage eines Kurt Biedenkopf oder Heiner Geißler hätten die Schlappe dieser Woche nicht unwidersprochen so geschehen lassen und aktiv an einer Abwendung gearbeitet.
Ich konstatiere: die Union befindet sich derzeit an ihrer Spitze in einer Situation der Mittelmäßigkeit - und das zu einer Zeit, in der unser Land sowohl von außen (Krieg in der Ukraine, Gaza-Konflikt, Zentrifugaltendenzen in der EU, Trumps Irrationalitäten) als auch von innen (Rechtsextremismus und Aktivitäten von Putins 5. Kolonne) unter massivem Beschuss steht. Die unzweifelhaften Erfolge Merz‘ in den ersten Wochen seiner Amtszeit mit der Schaffung der beiden Sondervermögen gehen inzwischen schon wieder unter in politischen Unzulänglichkeiten, die auf Ungeschicklichkeiten und das Fehlen emotionaler Intelligenz zurückzuführen sind. Politik ist eben mehr, als auf einer Registrierkasse darstellbar ist, und hier zeigen sich die Defizite wie in einem Brennglas.
Was gäbe ich darum, jemanden wie Kohl an der Stelle Merz‘ zu wissen, Barzel statt Spahn, Süßmuth statt Klöckner, Geißler statt Linnemann!
Aber wir können uns die Menschen nicht backen - umso wichtiger, dass die Union endlich wieder Tritt fasst, will sie nicht das Schicksal anderer europäischer christdemokratischer Parteien erleiden.
Und wenn dazu gehört, ihrem Amt nicht gewachsene Personen an der Spitze (neudeutsch: Nichtperformer) auszuwechseln, dann muss das eben geschehen!
Christoph Brodesser hat dies geteilt.