Unser Grundgesetz ist auch auf Ausnahmesituationen vorbereitet
Der heutige Tag hat es gezeigt: die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes waren weitsichtig und vorausschauend! Wenn auch bisher die Situation noch nie vorgekommen ist, dass ein Kanzlerkandidat nicht bereits im ersten Wahlgang die erforderliche Mehrheit erreicht, kennt unser Grundgesetz jedoch die notwendigen Regelungen auch für einen solchen Fall. Und so konnte - nach Genehmigung einer erforderlichen Geschäftsordnungausnahme durch anscheinend einstimmigen Beschluss des Parlaments - ein zweiter Wahlgang heute noch angeschlossen werden, der dann auch zum Erfolg führte.
Ich finde: das ist ein gutes Zeichen dafür, dass unser Grundgesetz auch für andere Ausnahmesituationen die notwendigen Regelungen und Instrumente bereithält - wir müssen sie nur anwenden. Und dazu gehören nicht zuletzt die Regelungen zur Notstandsverfassung, die ja glücklicherweise bisher ebenso noch nicht angewendet werden mussten, aber insbesondere zur Abwehr von extremistischen Vorstößen aus dem Parteienspektrum heraus, die das demokratisch-parlamentarische System zerstören und unter Nurzung seiner eigenen Instrumente zerstören wollen. Die „kämpferische Demokratie“ ist im Grundgesetz selbst angelegt.
Eine ketzerische Anmerkung zum Schluss: könnte es sein, dass die Klarheit und Prägnanz - auch in sprachlicher Hinsicht - der „Originalpassagen“ des 1949er Grundgesetztextes hier wirkungsvoller ist als später hinzugefügte Verfassungsänderungen mit ihren Schachtelsätzen, Ausnahmen und Bedingungen? Könnte es sein, dass einfache deutsche Haupt- und Nebensätze mehr bringen als juristisch ausgefinkelte Formulierungen? Es wäre schön, wenn das gesamte Grundgesetz wieder so gut les- und verstehbar würde wie in den Formulierungen, die vom Parlamentarischen Rat seinerzeit vorgelegt wurden!
Christoph Brodesser hat dies geteilt.